Lisa Bassenge – Going Home

Wenn Jazz-Musiker bewiesen haben, dass sie die Welt aus den Angeln heben können, dann bleibt ihnen nur noch eine – noch größere – Herausforderung:

Einen tausendmal gehörten Song zum verstörend Unbekannten umzukrempeln. Schon ein John Coltrane nahm sich deshalb die Broadway-Melodie „My Favourite Things“ vor, um ihm alles Gefällige auszutreiben und zum expressiven Manifest des neuen Jazz zu machen. Nicht anders erging’s dem Schlager „My Funny Valentine“, als er dem Miles-Davis-Treatment unterworfen wurde.

Hier ist es nun das Lisa Bassenge-Trio, das sich gleich zwölffach im Repertoire eines generationsübergreifenden Wunschkonzertes bedient hat: Duke Ellingtons „Caravan“. The Beatles‘ „A Hard Day’s Night“, Paul Simons „50 Ways …“, Police‘ „De Doo Doo …“ oder Madonnas „Like A Virgin“. Jede(r) verbindet wohl mit dem ein oder anderen Song ganz persönliche Erinnerungen. Und die sind es – und nicht Melodie oder Rhythmus -, die bei der Hörerin und beim Hörer dekonstruiert werden müssen, um aus einem wohligen Souvenir von gestern ein irritierendes Hörstück fürs heute zu machen.

Anders als die Jazzer von einst oder ein David Bowie, der später Pop-Hymnen überdrehte, satteln Sängerin Lisa Bassenge, Pianist Andreas Schmidt und Bassist Paul Kleber nicht drauf, sondern reduzieren bis an die Grenze des Verschwindens des Originals. So gelingt es ihnen, den Kern von „A Hard Day’s Night“ – die frustrierende und stimulierende Dialektik von Alltag und Liebe – freizulegen. Und „50 Ways To Leave Yor Love“ verscheucht Paul Simons fröhlichen Sarkasmus und treibt stattdessen die bittere Absurdität einer Situation auf die Spitze, wo nur noch der Gedanke ans Abschiednehmen die Kreativität beflügelt.

Und genau das ist’s, was jeder der zwölf Songs schafft: Die Kreativität der Zuhörer zu beflügeln. Sängerin Lisa Bassenge hat eine so nuancenreiche Stimme, dass sie noch abendfüllend (das ist definitiv Musik nach Sonnenuntergang) klingt, wenn sie mehr an- als ausdeutet. Piano und Bass stellen eine bis ans Zerreißen gespannte Atmosphäre her, gerade weil sich ganz auf scharfe dramaturgische Akzente konzentrieren.

Denn gelernt ist gelernt – u.a. bei Lee Konitz und Gary Peacock, mit denen Andreas Schmidt in der Vergangenheit arbeitete, oder in den Berliner Kultbands Micatone und Jazz Indeed, bei denen Lisa Bassenge bzw. Paul Kleber mitwirken.

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